Dienstag, 28. November 2017

Laptops, PISA-Sieger, Chaos - was denn nun? Schule in Finnland

(This is a super long post about school in Finland that I was too lazy to translate. It basically compares school here to the school in Germany and I might write a short Egnlsih version of it next week. But for now I´m sorry for everyone who won´t understand.)

Wenn man "Schule in Finnland" googelt findet man Ergebnisse von PISA-Tests, bei denen die Schüler aus dem Norden jahrelang als einer der besten abschnitten, Artikel, die die Gruppenarbeit und das individuelle Fördern der Finnen als Vorbild loben und dann Schlagzeilen wie "Ende des Bildungswunders" und "die Wahrheit über finnische Schulen". Obwohl ich viel von der finnischen Schule gehört habe, hatte ich keine besonderen Erwartungen. Etwa eine Woche nach Schulbeginn saß ich da und dachte "Ähm okay? Das soll es also sein?". Denn zu dem Zeitpunkt hätte ich zuletzt genannten, entthronenden Schlagzeilen zugestimmt. Ich saß im Matheunterricht mit Zehntklässern, die Rechnen mit negativen Zahlen lernten, ich machte Hörverstehen Übungen mit Zwölftklässlern in Englisch, die etwa dem Niveau der Mittelstufe in Deutschland entsprachen, bei denen die Schüler aber um ein wiederholtes Hören baten und ich saß in Klassen, wo die Hälfte der Finnen an ihren Laptops Candy Crush spielte oder online shoppte, anstatt das Essay zu schreiben.Wie kann es sein, dass diese Schüler so gut sind, fragte ich mich. Ich hatte das Gefühl, sie waren mindestens zwei Jahre zurück, die Lehrer waren inkonsequent und die Schüler nicht wirklich respektvoll. Jetzt, drei Monate später sitze ich hier und denke "Wow. Irgendwie funtkioniert das richtig gut so."
Finnische Schule? Was ist das eigentlich, ist es so gut oder so schlecht wie alle sagen und was sind meine Erfahrungen.? Darüber möchte ich heute schreiben.
Die Schullaufbahn eines Kindes in Finnland beginnt mit 6 oder mit 7 Jahren, was bedeutet, dass die Zehntklässler hier genau in meinem Alter sind - denn in Deutschland wird man mit 5 oder 6 eingeschult. Die Grundschule geht sechs Jahre, danach drei Jahre Junior High School und nochmal drei Jahre High School, wobei häufig beide in einem Gebäude oder beieinander untergebracht sind. Die Fächerauswahl ist ungefähr so wie in Deutschland, es gibt jedoch einige besondere Fächer, wie Health Education, Social Studies, Psychologie und Student Counseling für jeden. Doch statt ungefähr 7 mal 45 Minuten am Tag haben die Schüler hier 3-5 mal 75 Minuten Unterrichtsstunden. Jedes Fach dreimal pro Woche, 6-8 Kurse zu einer Zeit. Diese Kurse wechseln dann alle 5 bis 6 Wochen, wenn ein Abschnitt zu Ende geht. Am Ende jedes solchen Abschnittes gibt es eine Woche für die Examen. Jeden Tag ein Examen, das klingt hart, aber dafür hat man in dieser Woche auch keinen anderen Unterricht und keine anderen Hausaufgaben. Genau sagen, wie stressig Schule in Finnland ist, kann ich nicht, da ich ziemlich gut mit meinen Austauschschüler-Privilegien lebe, kaum Hausaufgaben machen muss und auch nicht benotet werde. Es gibt oft Hausaufgaben, doch dann wieder erzählt mir eine Freundin, sie haben 5 Stunden Zeit, ihr Finnischexamen zu schreiben. Wieviele Wörter gefordert sind? So um die 700. Eine ganz normale Wortanzahl für einen Aufsatz, den wir in Deutschland ganz gewohnt in 90 Minuten schreiben. Manchmal habe ich das Gefühl, die Lehrer unterfordern die Schüler ein wenig. Für mich war es ganz normal in verschiedensten Fächern Präsentationen zu halten, auch alleine, auch zwanzig Minuten lang. Als uns diese Aufgabe hier im Englischunterricht gegeben wurde, schien es wie ein riesiges Drama für die finnischen Schüler. Als ein Mädchen um 5 statt 10 Minuten Vortragszeit bat, hat die Lehrerin nur genickt und die Endergebnisse waren für mich auch mehr so, als hätte sie mein kleiner Bruder gemacht. Aber trotzdem scheinen die Schüler nicht faul zu sein oder nichts zu lernen. Ich habe meinen Mathekurs nach der ersten Stunde gewechselt. Die Elftklässler machen genau das, was ihre Jahrgangsstufe in Deutschland macht. Für jeden Kurs gibt es ein Buch, welches durchgearbeitet wird. Jede Stunde ein neues Kapitel, ein Video dazu sehen, Aufgaben bearbeiten und alle zwei Wochen ein kleiner Test. Was man nicht in der Stunde schafft, wird halt zuhause gemacht. Die Klasse arbeitet eigentlich immer selbständig, der Lehrer wird nur bei Fragen angesprochen. Generell habe ich das Gefühl, dass finnische Schüler sehr selbstständig und eigenverantwortlich sind. Eines Tages war die Cafeteria während meiner Freistunde ungewöhnlich voll. Ein Lehrer fehlte und die Stunde fiel aus. Statt jedoch Serien zu gucken, zum Supermarkt zu gehen oder was auch immer ich in meiner Freistunde mache, saß die ganze Gruppe da und arbeitete an ihren Laptops. Und manchmal kommt es auch vor, dass der Lehrer nur eine Aufgabe stellt und dann alle aus dem Raum verschwinden um an bequemeren Orten zu arbeiten. Mit den Laptops, natürlich. Meine Schule ist nicht so modern wie andere. Das heißt, wir haben noch Bücher und wenn jemand, so wie ich, seinen Laptop nicht jeden Tag mit zur Schule bringen will, dann ist das auch kein Problem. Doch sie werden gebraucht und genutzt. Und das hat einige Vorteile. Zum einen, klar, man kann auch einfach mal Zalando durchstöbern, wenn man keine Lust auf Geschichte hat. Zum anderen aber geht zum Beispiel ein Freund von mir für eine Weile ins Ausland und er kann all seine Schulaufgaben einfach übers Internet machen. Das heißt, er muss auf keine andere Schule im Ausland gehen, er muss nichts wiederholen oder vorarbeiten, sondern kann einfach mit seinen Mitschülern mitlernen.
Im Allgemeinen ist Schule hier ein ganz anderer Ort, als ich es kannte. Es gibt Schließfächer, aber es gibt auch Gaderobenhänger in den Gängen, wo Leute nicht nur ihre Jacken, sondern auch ihre Motorrollerhelme und ihre Sporttaschen den ganzen Tag lassen. Manche ziehen auch, vor allem jetzt, bei nasskaltem Wetter, ihre Schuhe aus. Ein Schultag in Wollsocken ist schon automatisch besser, finde ich. Wir haben einen Raum mit Musikboxen und Sitzsäcken, wo man seine Pausen verbringen kann. Überall gibt es Waschbecken und den ganzen Tag Milch und Wasser zu trinken. Auch die Räume in denen unterrichtet wird, sind viel persönlicher, da jeder Lehrer einen eigenen Raum hat und die Schüler für jeden Kurs wechseln. So können die Lehrer ihr Klassenzimmer ganz nach ihrem Geschmack einrichten und dann findet man schonmal Queen Elizabeths Gesicht an der Wand oder Zeitungsartikel, die den Lehrern gefallen haben. Ich finde das auch deshalb schön, weil man so etwas mehr über die Lehrer erfahren kann. Die Lehrer, die hier meistens nur ein Fach, manchmal zwei unterrichten -  was bedeutet, dass es für eine High School mit 350 Schülern (wie meine) nur zwei Englischlehrer gibt und sogar nur eine Musiklehrerin. Die Beziehung zwischen Lehrern und Schülern ist jetzt nicht unbedingt freundschaftlich, aber doch viel lockerer. Man spricht sie mit "du" und Vornamen an - oder einfach "ope", kurz für "opettaja", Finnisch für "Lehrer" und dadurch das die Kurse oft viel kleiner als in Deutschland sind, ist die Atmosphäre eine ganz andere. Aber das kommt natürlich immer noch auf den Lehrer an. Doch ich habe das Gefühl, dass die Lehrer hier mehr so eine Art Anleitfigur sind, die aber nicht zwingend alles machen und die ganze Stunde reden und erklären. Vor allem im Sportunterricht ist mir das aufgefallen. Statt, wie in Deutschland, jede Sportart drei Wochen lang zu praktizieren, ewig an der Technik zu arbeiten, die sowieso nicht besser wird, am Ende riesigen Stress zuhaben, weil es in irgendeiner Form benotet wird - hier gefällt es mir so viel besser. Manchmal bekommen wir einfach Karten und werden losgeschickt in den Wald für Orienteering, manchmal bekommen wir Federballschläger und dürfen 60 Minuten wirklich spielen und manchmal machen wir eisernes Crossfit-Training. Es ist freier und es wird mehr darauf vertraut, dass die Schüler "das schon machen". Am Ende der Schullaufbahn kann jeder Schüler wählen, wieviele finale Examen, sogenannte Matriculation Exams, er schreiben möchte. Mindestens 4, die meisten nehmen 5 oder 6. Finnisch muss dabei sein und Schwedisch oder Mathe. Den Rest kann man sich aussuchen. Anders als in Deutschland müssen diese jedoch nicht in einem Rutsch erledigt werden. Am Ende der elften Klasse kann man beginnen, dann gibt es Termine im Herbst der zwöften Klasse und nachdem die Schule für den letzten Jahrgang im Februar endet und es zwei Monate zum Lernen gibt, die letzen Examen. Ich habe mich so lange gewundert, wieso alle so entspannt dabei waren und es wirkte, als wäre es wirklich keine große Sache, bis mir jemand erzählt hat, dass die finnischen Schüler sich nicht mit ihrem Abi an Universitäten bewerben. Dafür gibt es dann wieder eigene Aufnahmeprüfungen, verschieden für jede Uni. Kein Wunder also, dass sie das nicht so sorgt.
Das war jetzt so viel Information und ich habe immer noch nicht erzählt, wie ich die Schule eigentlich persönlich finde. Ich gehe gerne zur Schule, an manchen Tagen mehr, an manchen Tagen weniger. Die Tage, an denen ich nur da sitze und nichts mache, sind eigentlich die schlechtesten. Mir gefällt es, dass ich durch die neuen Kurse alle paar Wochen immer wieder neue Menschen kennenlerne. Ich weiß jetzt schon, dass ich es in Deutschland so vermissen werde, jeden Tag um 11.15 Uhr kostenloses Lunch zu bekommen - auch wenn es manchmal nicht besonders lecker ist. Die Lehrer bemühen sich alle, uns Austauschschüler zu integrieren. Mein Mathelehrer kommt mindestens zweimal in der Stunde zu mir und fragt, wie es läuft. Ich glaube allerdings, er hält mich für ziemlich bescheuert. Was vielleicht auch daran liegen könnte, dass er dazu tendiert, mir in den Momenten über die Schulter zu gucken, in denen ich mal nicht die Textaufgaben übersetze, sondern Snaps beantworte. Oder weil ich, obwohl ich im Unterricht gut mitgekommen bin, im Examen nur Bahnhof verstanden habe und ein "Sorry, ich habe alles versucht" hinzugefügen musste. Aber alles in allem glaube ich, dass das Konzept Schule hier besser ist als in Deutschland. Natürlich hat es auch seine Haken, aber ich denke, es funktioniert ganz gut so und zumindest für mich als Austauschschüler ist es sehr angenehm. 

Ansonsten geht es mir hier immer noch sehr gut. Ich bin momentan sehr beschäftigt mit Muscial- und Tanzproben, Präsentationen, und damit, anzufangen, mir Sorgen über Weihnachtsgeschenke zu machen. Die erste Zeit, in der ich mich ein wenig unmotiviert gefühlt habe, habe ich schon überstanden und auch den ersten Abend mit Heimweh. Letzte Woche habe ich zum ersten Mal wirklich gemerkt, wie früh es schon dunkel ist und es hat mich zum ersten Mal deprimiert. Aber: in vier Wochen werden die Tage schon wieder länger!!! Ich warte immer noch auf den nächsten Schnee und nächstes Wochenende geht es nach Turku. Ich hab euch alle sehr lieb und ihr fehlt mir. Lona. 



Ein Teil der Cafeteria

Huiyin, eine Austauschschülerin aus China, und ich, an unserem ersten Tag in der Schule